12Februar
2016

Westbank, Palästina, Eretz Israel?

Shalom,

Wie schon angekündigt, war ich zuletzt auf dem dreitägigen Westbank-Seminar. Es hat mir einen besseren Blick auf die Situation gegeben und mir geholfen, den Konflikt ein bisschen mehr zu verstehen. Es war vor allem sehr spannend, eine andere Seite zu sehen.

Wir haben hier in Nes Ammim die priviligierte Möglichkeit, den Konflikt von allen Seiten zu sehen und uns so eine sehr differenzierte Meinung zu bilden. Dennoch hatte ich bisher nicht alle Seiten klar im Blick. Das ist auch jetzt noch schwer, so komplex wie die Situation hier ist, aber ich habe das Gefühl, durch das Seminar mehr Hintergrundwissen erhalten zu haben.

 

Warum habe ich diesen Artikel Westbank, Palästina, Eretz Israel genannt?

Nun, der geläufige Begriff für das Gebiet, das an den Osten Israels angrenzt, ist Westbank, oder auch Westjordanland, eine geographische Beschreibung, da das Gebiet im Westen Jordaniens liegt. Gläubige Israelis sprechen von Eretz Israel, dem verheißenen Land, in dem man viele heilige Stätten vorfinden kann, wie auch die Gräber von Abraham, Isaak, Jakob, Sarai, Rebecca und Lea.

Eigentlich sollte man aus Respekt vor den Gefühlen der arabischen Bevölkerung, die auch meist als Palästinänser betitelt werden, von Palästina sprechen. Manche Israelis reagieren sehr snobistisch, wenn man von Palästina spricht und verleugnen dessen Existenz.

Ich spreche tatsächlich meistens von Westbank, eine angewöhnte Sache. Als wir vor Ort waren, habe ich angefangen von Palästina zu sprechen, gerade, um den Bewohnern entgegen zu kommen. Um Neutralität zu wahren, werde ich vermutlich bei Westbank bleiben. Dennoch finde ich es wichtig, dass man sich des Unterschieds bewusst ist.

 

Nun, zum Seminar:

Wir hatten unser Hauptquartier in Beijallah in einem Hostel. Von dort aus unternahmen wir Ausflüge innerhalb der Westbank. Unter anderem nach Bethlehem, Hebron und Ramallah.

 

Einer dieser Ausflüge hat uns zu einem Settler geführt. Settler sind (eher stark gläubige) Israelis, die im palästinänsischen Gebiet ansiedeln, meistens unter dem Vorwand, auf dem Gebiet Eretz Israels leben zu wollen, also auf dem Gebiet, das ihnen die Bibel verspricht. Die allgemein verbreitete Ansicht zu diesen Settlements ist, dass Israel Land stiehlt.

Das Gespräch mit diesem Settler war sehr interessant. Seine Begründung, warum er auf dem Gebiet Palästinas leben will, ist die, dass er sich hier zu Hause fühlt. Er zeigte uns die archäologische Stätte einer alten Weinpresse, mit der er belegte, dass das jüdische Volk schon vor Ewigkeiten hier gewesen sei. Es war also ein Akt der Rückkehr in das versprochene Land. Für ihn entschuldigt das die Tatsache, dass neue Settlements Landgewinn Israels in Palästina darstellen.

Wir hatten auch ein Gespräch mit einem palästinänsischen Flüchtling. Dieser erzählte uns von seiner Vision, die er schon von seinem Vater mitbekommen hatte, in der Zukunft wieder zu ihrem alten Haus zurückzukehren, aus dem sie Dank einem der Kriege mit Israel vertrieben wurden. Symbolisch dazu behält er den Schlüssel zur Türe seines Hauses, mit der Hoffnung auf eine Rückkehr.

 

Thematisch ging es bei beiden um den Akt der Rückkehr nach Hause, sogar die Argumente ähnelten sich. Man wurde vertrieben, man besitzt das Recht (Schlüssel bzw. Bibel), zurückzukehren, kann es aber nicht, weil die Heimat in einem anderen Land ist.

Für die Settler ist das einfacher zu bewerkstelligen. Mit einer Regierung im Rücken, die Settlements gegenüber positiv eingestellt ist, die in Palästina vor allem mit Militärpräsenz agiert und so „mächtiger“ wirkt, können sie freier handeln.

Die Flüchtlinge, die schon in dritter Generation in Palästina leben und sogesehen eigentlich gar keine Flüchtlinge im klassischen Sinn sind, haben es hier schwerer. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ihr Wunsch nach Rückkehr je erfüllen wird, erscheint in der heutigen Situation eher gering. Befremdlich ist aber, dass sie sich in Palästina gar nicht erst ein Leben aufbauen wollen. Sie leben in Flüchtlingscamps, die mit ihren gut ausgestatteten Wohnungen eher Vororten als Camps ähneln und halten dennoch ihren Refugee-Status wie eine Identität nach oben, die ihnen übergestülpt wurde. Die Vision der Heimkehr hält sie davon zurück, sich ein eigenes Leben aufzubauen und beraubt sie so einer Heimat.

 

Das war zum ersten Mal ein sehr politisch gestalteter Eintrag und ich kann mir denken, dass manche nicht ganz überzeugt davon sind und mir gerne widersprechen wollen. Ich kann in diesem Artikel nur aufzeigen, was ich gesehen und erlebt habe. Ich habe versucht, mehr eine Betrachtung und nicht zu viel eigene Meinung einzuarbeiten.

Nach etwas mehr als einem halben Jahr in diesem Land habe ich verstanden, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt, sondern ganz schön viel grau. Dass das hier vielleicht nicht so klar erscheint, kann sein. Es darf aber nicht vergessen oder ignoriert werden. Gäbe es nur schwarz und weiß, wäre dieser Konflikt zu einfach und das ist er nicht.

Ich hoffe, der Artikel zeigt ein bisschen, wie unterschiedlich die Meinungen und Berichte auf den verschiedenen Seiten sind.

 

Viele Grüße und Shalom,

Rebecca